In dünner Luft

Viele Trekker meiden Nepal nach dem großen Beben. Damit ist eine wichtige Einnahmequelle des Landes in Gefahr. Doch die Bergtouren im Himalaya haben nichts von ihrem Reiz verloren. Ich habe die Annapurna-Umrundung im Herbst nach dem Erdbeben für Wikinger Reisen geleitet. 

Die Bar „Rum Doodle“ hat seit vier Monaten zu. Die Tür ist verrammelt, alles dunkel. Die Feierkneipe der Everest-Bergsteiger in Kathmandus  Touristenviertel Thamel hat bessere Tage gesehen. Ebenso der Goldene Esel des Bergtourismus Nepals, der Everest. Dieses Jahr stand keiner auf dem Gipfel des höchsten Berges der Welt. Eislawinen, Schlägereien, viele Tote, lange Schlangen an den Fixseilen und zuletzt das Erdbeben im April haben den Berg in die Schlagzeilen gebracht. Nach dem Beben im Frühjahr wurde die Saison abgebrochen. Jetzt, im Herbst, lag einfach zu viel Schnee für eine Besteigung. Ein schwerer Schlag für Nepals Tourismus.

Gastfreundschaft: Im four Seasons in Chame

Gastfreundschaft: Im four Seasons in Chame

„Wir haben dieses Jahr 60Prozent weniger Umsatz“, sagt Phurba Sherpa, Chef der Trekkingagentur „Himalaya Sherpa Adventure“, in der Hauptstadt Kathmandu. „Geblieben sind uns die klassischen Trekkingtouren vor allem im Westen des Landes.“ Dort umarmen sich Jürgen Parth und Thomas Schäfer, jubeln zwischen hunderten blauen, grünen, roten und weißen Gebetsfahnen. Sie flattern auf 5416 Metern im schneidend kalten Wind. Die Männer stehen bei minus 12 Grad am höchsten Punkt ihrer Trekkingtour, dem Thorong La, am höchsten Punkt ihres Lebens. In den Blutbahnen von Thomas und Jürgen ist der Sauerstoffgehalt auf unter 80 Prozent des Normalwertes gesunken. Ein Anästhesist würde da nervös werden. Den beiden geht es aber prächtig. Sie stehen am höchsten Pass der Annapurna Umrundung, einem Trekking-Klassiker, der schon in den 80er Jahren des vergangenen Jahrtausends als „Tea House Trek“ bekannt war. Der Himmel ist wolkenlos, die Sicht reicht weit in die knochentrockene Hochebene von Mustang bis hin zu den Eisriesen der Region von Dolpo.

Thomas vor dem Dhaulagiri

Thomas vor dem Dhaulagiri

Bald steigen die Beiden in das tiefste Flusstal der Welt ab. Vor ihnen der Dhaulagiri, derzweite8000erGipfelvondreien, den sie auf der 16 Tage dauernden Wanderung sehen. Thomas und Jürgen teilen sich jede Nacht ein Zimmer, dies hat die Liste des Reiseveranstalters ergeben. Mit elf weiteren Trekkern sind sie vor neun Tagen in Kathmandu gestartet. Einen ganzen Tag dauerte die Bus- und Jeepfahrt nach Shyange, dem knapp 300 Kilometer entfernten Ausgangspunkt der Tour.

Im Finstern sind sie aus den Jeeps gestiegen, haben ihre ramponierten Gelenke gestreckt, kaltes Wasser ins Gesicht geworfen und die zwei Pritschen in dem einfachen Zimmer bezogen. Jürgen, 45 Jahre alt, ist schon das vierte Mal in Nepal, zuvor meist im Everestgebiet, dem Khumbu. Er betreibt im Ötztal ein Radler-Hotel und ist in seiner Freizeit oft auf den umliegenden Gipfeln seiner Heimat unterwegs. Im Sommer allerdings sitzt er viel im Büro, auf dem Motorrad und im Bierkeller mit seinen Gästen. „Der Bauch muss wieder weg“, lacht er. Thomas Schäfer ist 25 Jahre alt, seine Eltern haben ihm die Reise zum Abschluss seines Mathestudiums in Mainz geschenkt. Er ist Handballer in der Bezirksliga A, schlank, austrainiert und hat Hunger für Zwei. Aus eigener Kraft war er bisher höchstens auf 2000 Meter über Meereshöhe, die ersten Wanderschuhe seines Lebens hat er vor sechs Wochen gekauft.

Jürgen und Thomas am Thorong La Pass

Jürgen und Thomas am Thorong La Pass

Die 13 Wanderer und deren Reiseleiter haben zehn Nepalesen zur Begleitung. Einen Hauptguide mit zwei Assistenten, dazu sieben Träger. Zwei bis drei Packtaschen der Touristen schleppen sie an einem Band über der Stirn durch die Berge. Maximal 32 Kilo. Die Trekker tragen nur ihr Tagesgepäck. „Träger für Touristen ist hier ein begehrter Job“, beruhigt Dorje, der Hauptguide. Sie verdienen deutlich mehr als normale Träger, die oft bis zu 100 Kilo an Waren und Baumaterial schleppen müssen. „Außerdem ist es der Sprung ins Tourismusgeschäft.“ Dorje hat vor 15 Jahren ebenfalls so begonnen. „Für 120 Rupien am Tag“, sagt er und lacht. Heute verdient ein Träger bei einer großen Agentur rund 1200 Rupien am Tag, das entspricht etwa zehn Euro. Sind sie drei Wochen unterwegs, verdienen sie etwa so viel wie ein Lehrer in einem Monat. Zusätzlich sind sie krankenversichert, und am Ende des Treks gibt es von der Gruppe  ordentlich Trinkgeld.

Gerste trocknen und aussortieren

Gerste trocknen und aussortieren

Es ist heiß. Grillen füllen die Luft mit einem hohen Dauerton. Jürgen schwitzt und freut sich. „Die ganze Zivilisation kommt jetzt raus.“  Die nächsten Tage wandert die Gruppe entlang des Flusses Marsygangdi.  Mal ist das Tal weit, es wachsen Fichten, Kiefern und Pappeln, es riecht nach Südfrankreich. Mal ist das Tal eng und schattig, der Rhododendron blüht.  Jede Höhenstufe bringt neue Aussichten und Pflanzen. In Chame auf 2500 Metern tauchen die ersten Eisriesen des Annapurnamassivs auf. Der 8000erManaslu ist ebenfalls zu sehen. Sobald die Sonne weg ist, wird es kalt. Mütze und Handschuhe beim Abendessen. So kalt – jetzt schon! Treffpunkt ist der Bullerofen im Speiseraum, gefüttert mit Holz und getrocknetem Kuhdung. Das Annapurna-Massiv dehnt sich im Westen Nepals über 30Kilometer Luftlinie aus. Die höchste Spitze ist die 8091 Meter hohe Annapurna 1. Der erste Achttausender überhaupt, der 1950 von einem französischen Team mit Maurice Herzog und Louis Lachenal bestiegen wurde. Mit schwersten Erfrierungen und gedopt mit Pervitin, heute bekannt als Crystal Meth, erreichten sie den Gipfel.

Leiter im Lubra Valley

Leiter im Lubra Valley

Weitere 40 Gipfel über 7000 Meter machen das Massiv zu einem gewaltigen Eispanzer, an dem der Monsun im Süden abregnet. Im Norden hingegen breiten sich trockene Hochtäler und Wüsten Richtung Tibet aus. Ein abwechslungsreiches Trekkinggebiet. 2042 deutsche Wanderer haben vergangenes Jahr die Annapurna umrundet. Thomas hat die Permitnummer 736 296, Jürgen die 736 300. Dieses Jahr werden es wohl nur ein Viertel der Trekker der Vorjahre werden, vermuten die Polizisten an der ersten Kontrollstation. Dabei war die Annapurna-Region von dem Erdbeben im April überhaupt nicht betroffen. Das Epizentrum lag etwa 40 Kilometer östlich, die Erschütterungen reichten in Richtung Kathmandu, Langtang und die Everestregion.

Die Luft wird dünner. In Upper Pisang auf 3300 Metern Höhe gibt es schon die ersten leichten Höhenprobleme in der Gruppe. Jürgen wirkt müde und hat plötzlich keine Lust auf das Kloster oberhalb des Ortes. Thomas schlendert noch ein paar Höhenmeter zu den Gebetsfahnen oberhalb des Klosters hinauf. Am Abend drängt sich die Gruppe wieder um einen Bullerofen, die Wirtin schiebt Yakdung ins Feuer. Ein unglaublich schmutziges Kind krabbelt auf dem schwarz-schmierigen Bretterboden dazwischen. Morgen werden alle noch höher steigen, einen Höhenweg oberhalb der Schotterpiste zum Hauptort der Region nach Manang nehmen. In Manang, auf 3500 Metern, ist es in der Sonne noch schön warm. Es gibt Cafés, Schokokuchen und Espresso. „Fast wie am Chiemsee“, meint eine Berlinerin. Am nahe gelegenen Thorong-La-Pass hingegen kann es gefährlich kalt werden. Im Oktober 2014 fegte zwei Tage lang ein Schneesturm darüber hinweg, mehr als 40 Menschen starben an Unterkühlung oder in Lawinen. „Stimmt das Wetter, ist die Tour sehr angenehm, schlägt das Wetter allerdings um, wird es schnell sehr ernst“, meint Thinley Sherpa.

Abschied vom Annapurna Massiv

Abschied vom Annapurna Massiv

Die Luft ist noch dünner geworden. Jürgen sagt nichts mehr, Thomas verzichtet auf eine zweite Portion zu Mittag. Die Anspannung in der Gruppe steht im Raum. Wie wird die heutige Nacht über den Passwerden? Schaffen wir das? Thorung Pedi liegt auf 4500 Metern. Die Gruppe wird nochmals 400 Meter höher, im High Camp, schlafen. Kumar, der Hüttenwirt, hat Rastalocken bis zur Hüfte, seine Partnerin Kathe kommt aus Südafrika. Sie bringt ein Tablett Zimtschnecken. Kurz vor vier Uhr in dieser Nacht schalten Thomas und Jürgen die Stirnlampen an. Aufgewirbelter Staub reflektiert wie Schneeflocken in der Nacht. Der Aufstieg beginnt. Langsam stapfen sie nach oben. Zwei Schritte gehen, einmal atmen. Nach 177 eiskalten Minuten umarmen sie sich am Pass. Zwei Tage später sitzen die Beiden in den heißen Quellen von Tatopani, das nepalesische Wort für heißes Wasser. Zwischen Bananenstauden und Bambus schmieden sie Pläne: Jürgen will 2016 auf einen 6000er im Himalaya, Thomas denkt an den Kilimandjaro. Und Klaus schaut auf seinen Schrittzähler, den er zu Beginn der Tour eingeschaltet hatte. 275 000 zeigt er an.

Sonnenaufgang am Poon Hill

Sonnenaufgang am Poon Hill

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